Mauern, die Geschichte erzählen - Wirtshaus

Mauern, die Geschichte erzählen

„Es wär oft schön, wenn die Wänd‘ reden könnten…“, sagt meine Wirtin, die Maria Praxmarer. Und es stimmt, meine Wände hätten viel zu erzählen, denn meine erste urkundliche Nennung geht über 600 Jahre zurück auf das Jahr 1413. Mit Sicherheit war aber Flaurling, mein malerisches Heimatdorf, weit früher schon ein wichtiger Mittelpunkt des Großraumes. Gemeinsam mit den Orten Flaurlingerberg, Polling, Hatting, Inzing, Ranggen, Leiblfing und Pettnau bildete Flauring ein Großpfarre im schönen Osttirol. Und obwohl die schriftlichen Zeugnisse aus der Frühzeit des Oberinntals außerordentlich dünn gesät sind, wird Flaurling schon im Jahr 763, in den Freisinger Traditionsbüchern als Flurilinga genannt.

Gasthof Goldener Adler in Flaurling, (c) Philipp Reiter
Die barocke Fassade des Gasthauses

Ein Haus, das zu den historischen Gasthäusern unseres Landes zählt

Aber nun zu meiner Wenigkeit. Ich, das Gasthaus zum Goldenen Adler (Hausname beim Ladner) in Flaurling, bin überzeugt, dass man auch in mir die Magie des Ortes spürt, dieses Zusammenspiel von Ruhe und Kraft. Schließlich stecken einige hundert Jahre bäuerliche, herrschaftliche und kaufmännische Geschichte in mir. Schon meine schön renovierten barocken Außenfresken berichten von einer Zeit, in denen Flaurling reich war. Und auch innen erzählen viele Details, wie etwa die reiche Stuckverzierung an der Decke des Herrenzimmers, von meiner Vergangenheit.

Zimmer im Gasthof Goldener Adler in Flaurling, (c) Philipp Reiter
Das Herrenzimmer

Man muss vor allem wissen, dass ich an der Salzstraße liege. Also an jener Lebensader, auf der vor Jahrhunderten das wichtige Salz von der Saline in Hall ins Oberland transportiert wurde. Ich war eine sogenannte Relaisstation, also ein Ort, der für Fuhrwerke, Postkutschen und Kuriere, die meist von Hall kommend über den Fernpass nach Deutschland reisten, immer frische Pferde bereithielt. Ich hatte Abstell- und Einstellgelegenheiten, über 25 Pferde fanden in meinem Stall, der heute ein Lagerraum ist, Platz. Zu meinem Besitz gehörte auch der Salzstadl, also die Salzniederlage, von der das Salz in die umliegenden Dörfer verteilt wurde. Eigentlich war und bin ich ein geschlossener Hofbesitz, dessen Besitzverhältnisse bis ins 15. Jahrhundert dokumentiert sind, etwa in den Tiroler Heimatblättern, 1984, 59. Jg., Heft 2. Meine Pflegsverwalter-Urkunden sind im Pfarrarchiv und auch im Ferdinandeum aufbewahrt. Natürlich stand ich immer in Verbindung mit dem Kloster Stams, an das meine früheren Besitzer Zins zu zahlen hatten.

Viele Geschichten ranken sich um mich. So eine zur Tiroler Bauernhochzeit, dokumentiert im Band III der Quellen und Forschungen zur deutschen Volkskunde, Seite 262. Sie erzählt vom Hochzeitslader, der mit Gotelfrack, Blumenstrauß und Hut, in der Hand einen langen Stab und einer Pfeife Hochzeitsladersprüche und Reime von sich gab: „Jetz tiet nu köma, lieber aans als zwaa“, bis zum Hochzeitstag an dem die Braut im Gasthof– also bei mir – eintraf und die Hochzeitsteilnehmer mit einem Glas Wein, der Frühsuppe (Nudelsuppe mit Würstel und Glühwein, Geschmackssache!) begrüßte. Was es danach zu essen gab, wollt ihr wissen? Auch das liest man genau dort auf Seite 264. Ich sage nur soviel: „Brautmus mit Buetterteigkrapfeln“. Getanzt wurde natürlich bis in der Früh.

Ja, wen meine Vergangenheit interessiert, der wird über die reichen Quellen staunen. Ob es um Einkehr ging, wenn man mit der Fähre den Inn überquert hatte. Um die Genehmigung zur Weinausschank von 1910. Vieles ist zu entdecken. Vieles ist ausführlich und spannend dokumentiert. Auch eine Ortsführung ist zu empfehlen, denn dabei bin ich eine wichtige Station.

Gasthof Goldener Adler in Flaurling, (c) Philipp Reiter
Der Eingangsbereich

Und aus der jüngeren Zeit gibt es viel Schönes und Typisches zu berichten, denn in meinen uralten Mauern schöpfen die Menschen Kraft und finden Zeit zu teilen mit jenen, die einem lieb sind. Meine Besitzerin, Maria Praxmarer erzählt: „Die Tante war in der Küche, die Mama im Service. Bis 2017 war das Haus als Gasthof im Vollbetrieb, dann hatten wir neben der Zimmervermietung nur mehr abends geöffnet. Ich habe immer mitgeholfen, wir haben Stammgäste aus dem Dorf, Sommerfrischler und Winterfreaks, von denen uns einige seit sechzig Jahren die Treue halten. Ob Reisegruppen, Busse, Geschäftsleute oder Individualisten – zu uns kommt, wer die Authentizität liebt und das Oberinntal und die Nähe zu den Golf-, Wander-, Schi-und Langlaufparadiesen Seefeld und Axams schätzt und gern zwischendurch die Kulturstadt Innsbruck mit ihrem reichhaltigen Programm besucht.“

Mia hom do schu Hetzn ket

sagt mein Nachbar der Vollerwerbsbauer Hansi Praxmarer (nicht mit den Wirtsleuten verwandt). Er erzählt begeistert und wehmütig von Hochzeiten, Vereinstreffen, Begräbnissen oder Karter-Abenden wo man oft bis zu sechs Karter-Tische aufgmacht hat. Von Silvesterfeiern, Schirennen-Preisverteilungen, Tombolas, Fasnachten mit Hemmatreißn bei dem die ganze Stubendecke voll mit abgerissenen Hemdkragen tapeziert war, vom Theatervereins-Auftritten im Garten, Jahrhundert-Festivitäten wie zur 1200 Jahre Flaurling Feier, oder vom jährlichen Alm-Essen nach dem Almabtrieb und dem legendären Fußranggln in meinem Hausgang. „Ja, in mir war immer Leben und immer was los. Vor dem Haus parkten oft sechs, sieben Traktoren, da hat man immer gewusst, wer grad bei mir sein Glasl genießt.“ „Und,“ so betont der Hansi, „man geht ja ins Gasthaus wegn dem Hoagascht.“ Aber auch wegen dem Essen. Viel und guat, hat ma von mir gsagt. Die Leut‘ haben vor der Tür gewartet, bis ein Tisch frei geworden ist. Und wegen dem Cordon Bleu ist jeden Sonntag ein Paar sogar aus Kitzbühel angereist. Auch das Törggelen war der absolute Hit. Die Leut haben’s genossen. Ich fehle. Das stimmt.

Diese Tische waren immer gut besetzt

Ich bin einfach notwendig. Damit alm an Hoagascht hasch

Kein anderes Gasthaus weit und breit. Kein Vereinslokal kann mich ersetzen. Nein, weil bei mir treffen nicht nur Gleichgesinnte zsamm, sondern eine bunte Mischung aus allen Ecken. Manche ham ihren Mittagsschlaf im Heu gmacht und dann hat ihn jemand von meinen Wirtsleut heimgeführt. Der Schlaggn Luis, der immer von seiner Maruschka in Russland erzählte, war hier genauso Gast wie Felix Mitterer, der Landeshauptleute Partl und Platter, die Schauspieler Tobias Moretti und Gregor Bloeb, der Luis Trenker mit seinen Freunden und so manche andere mehr. Ganz besonders freuen mich meine Stammgäste, einige aus Wien, die vier, sechs Wochen geblieben sind. Mit Stolz denke ich auch an andere Gäste zurück: Die Familie Tabarelli, ein jüdisches Ärzte-Ehepaar aus Innsbruck, das in mir mit noch zwei Familien den Weltkrieg überstanden hat. Treu sind sie geblieben bis heute, sie rufen uns oft an und fragen wie es geht. Dank der Leidenschaft und Historiker-Expertise ihres Familienoberhauptes gibt es von mir eine liebevoll erstellte Chronik, die mich stolz, aber auch traurig macht.

Bar im Gasthof Goldener Adler in Flaurling, (c) Philipp Reiter
Schank im Gasthof Goldener Adler in Flaurling, (c) Philipp Reiter
Der Ausschank im Goldenen Adler

Es wär‘ nix dabei, alles wieder auferstehen zu lassen, weil es so viele Menschen gibt, die sich genau danach sehnen. Wenn ich daran denke, wie wir überrannt worden sind, als es offiziell wurde, dass wir schließen, nach dem Tod meiner beliebten Wirtin Elfi Praxmarer im Winter 2019. Es gab Musik, Buffet, Tanz. Aber als meine über zehn Jahre treue Kellnerin Magdalena als Letzte über meine Schwelle hinausgetreten ist hab ich gehofft und gedacht: Dass du wieder einer (herein) kommst, das würde ich so gerne erleben.

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